Bianca Ludewig forscht als Kulturanthropologin seit Jahren zu Clubkultur. Sie spricht über Utopien, über eine gemeinschaftliche Liebe zur Musik, über Geschichten, die fehlen und Schwerstarbeit bei female:pressure.
Lässt sich Clubkultur am besten als Gegenkultur beschreiben, als Subkultur, als Milieu, als Szene?
Bianca Ludewig: Viele sprechen noch immer von Gegen- und Subkulturen. Aus wissenschaftlicher Sicht ist das nicht mehr haltbar. Unsere Gegenwart unterscheidet sich gravierend zu den 1960er, 70er oder 80er Jahren. Viele Wissenschafterinnen und Wissenschafter haben deshalb den Begriff der „Szene” eingeführt. Dieser funktioniert alleine nur schwer. Man benötigt andere Begriffe oder Aspekte wie etwa Genres für Musikszenen. Aber der Begriff funktioniert, weil diese Lebensstil-Gemeinschaften charakteristisch für unsere Gegenwart sind, in die wir einfach hineinkommen und schnell wieder hinaus. Wir sind oft Teil von mehreren Szenen bzw. Lebensstil-Gemeinschaften. Sie bieten meist auch ökonomische Gelegenheiten und treiben ihre eigene Gentrifizierung voran, während Subkulturen eher versucht haben, kritisch gegenüber der Mehrheitsgesellschaft zu agieren und Alternativen selbst zu gestalten.
Also doch „Szene”?
Bianca Ludewig: Jein. Der Szene-Begriff ist eben unpräzise. Im Fall von Musik spreche ich deshalb von „Audiosozialen Gemeinschaften”. Damit ist klar, dass es um Musik geht, dass Musik im Vordergrund steht, dass Musik der Grund ist, warum diese Menschen zusammenkommen. Die Idee kommt von Steve Goodman bzw. Kode9. Als Labelbetreiber und Musikproduzent hat er den Begriff „audio-social“ aber nicht weiter ausgearbeitet. John Cage hat früher schon den Begriff „Scenius” geprägt, ein Kofferwort aus Szene und Genie. Es beschreibt, dass keine große Idee in der Musikgeschichte von einer Persona allein stammt, sondern daran immer viele Menschen beteiligt sind. Aber eben nicht nur Menschen. Und jetzt kommt wieder Goodman ins Spiel. Sondern eben auch Orte und Technologien sind ganz wichtig für all das, was wir heute wertschätzen. Das versucht der Begriff der „Audiosozialen Gemeinschaften” mit zu inkludieren. Er vergemeinschaftet uns wieder in der Liebe zur Musik.
Ist der Club als utopischer Ort ein Mythos?
Bianca Ludewig: Ich glaube, dass der Club als utopischer Ort eine Berechtigung hat. Und dass er diese Möglichkeiten auch in Ansätzen bietet. Mir waren nur viele Akteurinnen und Akteure in den letzten Jahren zu wenig politisiert, viel zu blauäugig und naiv. Wenn wir Freetek oder die Kriminalisierung in England einbeziehen, dann sind das auf jeden Fall utopische Orte und vielleicht sogar gefährliche Orte gewesen. Es gibt schon einen Katalog von Forderungen, die implizit über Jahrzehnte von Clubkultur aufgestellt wurden. Aber sie wurden niemals verschriftlicht oder zur Agenda. Und dementsprechend wurden auch immer nur die Teile, die gerade von Vorteil sind, umgesetzt und alle anderen nicht.
Zum Beispiel?
Bianca Ludewig: Letztlich sind das oft ökonomische Fragen. In Berlin sind die Einkommen vieler Menschen im Kreativbereich sehr gering. Und es ist sehr teuer, in den Club zu gehen, der Eintritt, die Getränke oder andere Dinge, um lange wach oder bei Kräften sein zu können. Dieser Zwang des Networking im Club verstärkt sich. Vielfach fehlt das Verständnis, wie wichtig Räume sind. Im fortschreitenden Spätkapitalismus funktioniert es zu gut, dass Kreative diese Räume in Wert setzen und dann gehen müssen, sobald sie an Wert gewonnen haben. Dabei sind diese Musikräume wahnsinnig wichtig – nicht nur um zu feiern. Dahinter steht ein genuines Interesse an Musik, an künstlerischen Entwicklungen. Das passiert auch auf eine affektive, immersive, emotionale und körperliche Weise. Wir alle haben viel Druck im Alltag. Den können wir dort abbauen. Dass das wichtig ist, zeigt auch die aktuelle Debatte um häusliche Gewalt.
Auch in Wien werden Räume für Clubkultur mittlerweile verdrängt.
Bianca Ludewig: Wissenschaftliche Studien zeigen sehr genau, dass Gemeinschaften sich in dieser Form nicht mehr zusammenfinden, sobald sie einmal zerstreut ist, wenn es ihren Ort nicht mehr gibt. Die besonderen Qualitäten werden immer wichtiger in einer fragmentierten und hypermobilen Gesellschaft. Zu wissen, dass sie dort hingehen können, um Leute zu treffen, die bei einem Problem helfen können oder um eine Idee gemeinsam umzusetzen. Das sind vor allem die mittleren und kleinen Clubs, von denen es in Wien relativ viele gibt. Sie funktionieren wie ein kleiner Organismus. Wenn sie gut gewachsen sind, integrieren sie ihren Stadtteil und bringen die Nachbarschaft zusammen. Am Yppenplatz findet dagegen In-Wert-Setzung statt. Dabei werden Leute mit niedrigeren Einkommen verdrängt. Die Gemeindebauten federn das etwas ab, aber wie lange noch? Die Errungenschaften solcher Orte wirken noch nach, und es wird versucht damit Profit zu machen.
Was kann die Stadt tun?
Bianca Ludewig: Man muss denen etwas geben, die aus Wien eine junge Kulturstadt machen. Zwischennutzungen sind ein ganz großes Problem. Davon muss man Abstand nehmen, weil sie eben nur dieser In-Wert-Setzungen dienen und eine langfristige Planung von Orten, die Utopisches ermöglichen könnten, verhindern. Wenn Räume beginnen zu funktionieren und bekannt werden, müssen sie schließen. Das ist nicht nachhaltig für das soziale Gewebe einer Stadt.
Sie waren einige Zeit bei female:pressure aktiv, einem der wichtigsten Netzwerke in elektronischer Musik.
Bianca Ludewig: Was die Aktivitäten von female:pressure zeigen, ist, dass Clubkultur ein intersektionales Phänomen ist. Dass es ganz viele Ebenen der Diskriminierung, des Ausschlusses, der Unsichtbarmachung gibt, dass nicht nur Frauen betroffen sind, sondern auch queere Menschen, trans Personen, People of Color, aber auch Alter, Elternschaft oder Klasse wirken auf vielen Ebenen zusammen. Wir sind weltweit verbunden. Und trotzdem macht es einen Unterschied, ob ich eine Frau in Lateinamerika bin, oder homosexuell in einer Kleinstadt in den USA, in einem kenianischen Dorf oder in Berlin. Das macht einfach einen Unterschied. Man muss sich bewusst machen, dass viele in einer privilegierten Situation sind. Dabei ist Privileg keine Kritik per se.
Aber?
Bianca Ludewig: Ich empfinde es als Problem, wenn wir uns auf unsere Partikularitäten konzentrieren – ‚ich bin trans‘, ‚ich bin queer‘ usw.- und nur mit Leuten, bei denen das auch der Fall ist, zusammenarbeiten oder zusammen feiern möchten. Wenn wir darauf beharren, dann zersplittert die Kritik. Es ist ohnehin schwer, Kritik zu artikulieren. Sie wird schnell vereinnahmt, sozusagen abstrakt vom System, aber auch von Leuten, die ihren Profit daraus ziehen, in der Werbung beispielsweise. Es ist wichtig, die Energie zu bündeln, um etwas zu erreichen. Ich finde es am Ende wichtig, diese Trennlinien zu überwinden.
Sie haben Geschichtsschreibungen rund um Techno kritisiert. Was läuft falsch?
Bianca Ludewig: Die Frauen fehlen in der Geschichtsschreibung elektronischer Musik. Die wenigen Publikationen, auf die sich immer wieder bezogen wird, reproduzieren eben auch vieles, was nicht der Realität entspricht. Weil die meisten Bücher von Männern geschrieben sind, fehlen dort weibliche Perspektiven, wenn diese nicht vehement eingefordert werden, werden sie weiterhin übersehen werden. Natürlich reproduziert sich zudem auch noch eine Sichtweise der Mehrheitsgesellschaft. Da braucht es Gegengeschichten und mehr Forschung. Als Ethnologin finde ich Ethnografien toll. Was erzählen die Akteurinnen selbst? Die Aufgabe ist hier primär die Sichtweise der Akteurinnen und Akteure darzustellen. Diversität und Vielstimmigkeit sind dabei wichtig. Forschung zu Kunst und Kultur ist dabei genauso prekär, wie die Kulturarbeit selbst. So sind die female:pressure facts ganz in ehrenamtlicher Arbeit entstanden. Da war es für uns wie ein Schlag ins Gesicht, dass sich niemand bereit erklärt, das zu finanzieren. Das Musicboard Berlin etwa finanziert fast alles mit Bezug zu Musik, aber keine Publikationen oder Forschungen.
Sie haben viel über Hip-Hop geschrieben. Klassische Clubmusik, oder?
Bianca Ludewig: Für Hip-Hop war immer klar, dass es eine Schwarze Kultur ist, die aus New York kommt, egal ob Graffiti oder Rap oder Breakdance. Für Techno ist das weniger klar, auch wenn Detroit eine starke Bedeutung hat. Ich habe Hip-Hop in den letzten Jahren nur noch aus der Distanz beobachtet. Aber es ist klar, Hip-Hop-Kultur findet nicht nur im öffentlichen Raum, sondern auch im Club statt. Aber es gibt sehr verschiedene Rituale. Viele Hip-Hop-Schaffende definierten sich früher in Abgrenzung zu Techno. Und bei aller Liebe zur Diversität ist Abgrenzung für audiosoziale Gemeinschaften natürlich wichtig. Wie man tanzt, wie man ein gutes Konzert gestaltet, wann applaudiert wird, wie gerufen wird, das ist doch recht unterschiedlich. Aber man teilt den Club als Ort. Und die Beats wurden immer elektronischer und die Beatstruktur ist eine gemeinsame Basis. Bei den Transmedia-Festivals, die ich erforsche, wie dem donaufestival oder dem CTM Festival hat man sich früher abgegrenzt. Mit der Debatte um Diversität ist auch Hip-Hop dort endlich angekommen.
Bianca Ludewig ist Kulturanthropologin und Musikjournalistin, sie promoviert an der Universität Innsbruck und unterrichtete in Wien und Berlin. Ihr Buch „Utopie und Apokalypse in der Popmusik. Gabber und Breakcore in Berlin“ ist im Verlag des Instituts für Europäische Ethnologie in Wien erschienen.
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